A U F  F L Ü G E L   D E S  G E S A N G E S        S T R E I C H Q U A R T E T T   +  S O P R A N

 

Wie ein Wegweiser zieht sich Sehnsucht in unterschiedlichster Klanggestalt, verkörpert im Aufeinandertreffen von Trauer und Hoffnung, von Düsternis und Licht, Dur und Moll, Leben und Tod durch dieses Konzert. Von Schuberts neue Wege suchenden Fragment für die Ewigkeit, Beethovens fatalistischen Abschied von der Welt über Respighis klangsatter Wende zum 20. Jahrhundert hin bis in die durch Reimanns  Bearbeitung von Mendelsohn-Liedern ungeahnt neue Klangsphären erschliessende Moderne. Das Beseeligende und das Unheimliche sind darin enge Nachbarn. Liebestod-Thematik, Melancholie und Freude halten sich die Waage.

 

Franz Schubert (1797 -1828)    Quartettsatz in c-Moll, D 703

 

Das Streichquartett Nr.12 c-Moll D 703 (‘Quartettsatz’) ist Schuberts ‘Unvollendete’ im kammermusikalischen Bereich. Am Beginn seiner kompositorischen Reife stehend sucht sie nach dem wahren Weg und gibt sich kontrastreich: mal von belebter Aufbruchsstimmung getrieben, mal in geheimnisvoller Unruhe verharrend. Aufgrund der undogmatischen Form wirkt dieser Quartettsatz geradezu experimentell. Die Tonart c-moll verbanden bereits die Zeitgenossen mit Tragik, Pathos und Schicksal, nicht erst seit Beethoven. Jedenfalls ist dieser Satz in sich vollkommen, er genügt sich selbst und steht auf derselben Höhe wie die berühmten drei letzten Quartette Schuberts, als deren Auftakt er angesehen werden kann.

 

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) / Aribert Reimann (*1936)    „... oder soll es Tod bedeuten?“

 

Mit dem romantischen Lied hat sich der 1936 in Berlin geborene Komponist Aribert Reimann – selbst Schöpfer zahlreicher Liedkompositionen und darüber hinaus als Pianist ein subtiler Liedbegleiter – wiederholt auseinandergesetzt. In „... oder soll es Tod bedeuten?“ hat Reimann acht Lieder und ein Fragment, die Felix Mendelssohn Bartholdy nach Gedichten von Heinrich Heine komponierte, für Sopran und Streichquartett bearbeitet und mit sechs auf der Musik Mendelssohns beruhenden Intermezzi miteinander verbunden. Sie stammen nicht aus einem Zyklus, sondern aus Heinrich Heines „Buch der Lieder“ und sprechen von Liebe und Liebesweh, von Verlassensein, Einsamkeit und Tod. Sie pendeln zwischen Wirklichkeit und Traum, die Grenze verwischt. Die Seite der Fiktion speist sich aus Märchen, Sagen und der fantastischen Literatur.

 

Reimanns Bearbeitung verlangt musikalisch mehr als eine Übertragung des Klaviersatzes auf ein Streichquartett. „In einigen Liedern, vor allem in den Strophenliedern“, schreibt er, „bin ich vom Klaviersatz abgewichen und habe viel dazu komponiert, ohne in die Mendelssohnsche Harmonik einzugreifen.“ Vor allem aber fgte er sechs instrumentale Intermezzi ein. Sie schlagen Brcken zwischen den Liedern und distanzieren sich zugleich von ihnen. Reimann komponierte sie in seiner eigenen Tonsprache, doch sie enthalten als Erinnerungen Momente des vorigen und als Vorschein Motive des nachfolgenden Liedes. Das Heterogene wird nicht versöhnt, Fremdheit bleibt, als Zeichen steht sie fr den Kern romantischen Lebensgefhls. Wie im Traum berlagern sich verschiedene Zeitschichten. In allen sechs Stcken tritt eine Figur hervor, das Hauptmotiv des letzten Liedes; es zieht das ganze Werk auf dieses Fragment als sein eigentliches Ziel hin. An schauriger Textstelle bricht die Komposition ab. Die Musik erstarrt, in Mendelssohns und in Reimanns Tonsprache.

 

Ottorino Respighi (1879-1936)     "Il Tramonto“ (Der Sonnenuntergang)

 

Der Ruhm des italienischen Komponisten Ottorino Respighi gründet vor allem auf seinen sinfonischen Dichtungen, die römische Brunnen, Pinien und Feste in leuchtenden Farben schildern. Respighi suchte Anschluss an die große Tradition der italienischen Instrumentalmusik in Renaissance und Barock, die er mit seiner impressionistisch gefärbten, atmosphärisch dichten Tonsprache verband. Zu seinen größten Meister- werken zählt die lyrische Szene „Il Tramonto“ („Der Sonnenuntergang“) nach den tief melancholischen Versen des "revolutionären" englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley. Inhaltlich geht es dabei nicht nur um einen Sonnenuntergang als Naturereignis, sondern symbolisch auch um eine tragische, auch über den Tod hinausgehende verklärte Liebesbeziehung. Das Werk klingt betörend sinnlich-morbide, ähnlich dem Sextett „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg. Es steht in seiner angespannten, teilweise auch expressionistischen und dissonanten Klangsprache an der Schwelle zur Moderne.

 

Ludwig van Beethoven (1770-1827)  Streichquartett Nr.16, F-Dur op.135

 

Warum Beethoven sein Quartettfinale dermaßen verschlüsselt hat, ist bis heute unklar. Manche deuten das doppelte Motto „Muss es sein? Es muss sein!“ als fatalistischen Abschied von der Welt, die meisten freilich als die letzte Pointe eines großen Humoristen. Die Entstehung dieses Werkes war von privaten Krisen überschattet. Sein Neffe Karl beging einen Selbstmordversuch. Für Beethoven war das eine Katastrophe und der totale Bankrott einer Beziehung, in die er große Hoffnungen gesetzt hatte. Opus 135 zieht auf eine unauffällige, unaufwendige und doch kunstvolle Weise Bilanz. Angesichts seiner stillen, fast abstrakten Heiterkeit hat man den Eindruck, dass Beethoven sich sehr bewusst war, hier sein letztes Wort in dieser Gattung zu sagen.„Muss es sein?“ wirkt schicksalsschwer, wie die existenzielle Frage nach der Unausweisslichkeit des Todes, die sich Beethoven angesichts seiner schweren gesundheitlichen Krisen anno 1826 gestellt haben mag. Doch die Antwort bleibt zuversichtlich. Vielleicht ist op. 135 doch ein Werk mit doppeltem Boden, im Ton eines „als ob“ komponiert, eine Art Satyrspiel unter den letzten Quartetten.