N E B E N S O N N E N W I N T E R R E I S E N V O N S C H U B E R T U N D B E E T H O V E N
„Das ist der Tanz der Welt selbst: wilde Lust, schmerzliche Klage, Liebesentzücken, höchste Wonne, Jammer, Rasen, Wollust und Leid; da zuckt es wie Blitze, Wetter grollen: und über allem der ungeheuere Spielmann, der alles zwingt und bannt, stolz und sicher vom Wirbel zum Strudel, zum Abgrund geleitet: – er lächelt über sich selbst, da ihm dieses Zaubern doch nur ein Spiel war. So winkt ihm die Nacht. Sein Tag ist vollbracht .“ Richard Wagner
Man könnte meinen, Richard Wagner beschreibt hier Schuberts Winterreise, aber in Wirklichkeit spricht er über Beethoven ́s Streichquartett Nr.14 in cis-Moll. Es ist bezeichnend, dass gerade ein Komponist wie Richard Wagner tief beeindruckt von Beethovens Opus 131 war. Das einleitende Adagio nannte Wagner „wohl das Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist.“ In sie- ben pausenlos aufeinanderfolgenden Stücken (er selbst sprach nicht mehr von Sätzen) hat Beet- hoven der Idee des zyklisch geformten Werkes einen neuen „romantischen“ Aspekt verliehen. Aus dem Reigen der letzten Streichquartette Beethovens zählt dieses cis-Moll Quartett zu den höchsten Offenbarungen des genialen Komponisten. Durch sein außergewöhnliches Klangspiel und seine Liedhaftigkeit korrespondiert es in hervorragender Weise mit der Winterreise von Franz Schubert. Schubert hat man dieses Opus 131, das Beethoven kurz vor seinem Tod komponierte und für sein bedeutendstes Streichquartett hielt, nur wenige Tage vor seinem Tod im November 1828 vorgeführt und dieser sei so begeistert gewesen, dass man um ihn habe fürchten müssen.
Zweifellos hat Schubert in seinem bahnbrechenden Liedzyklus „Winterreise“ die dunkle Seite der Sehnsucht nach Glück in Obsessionen, Ängsten, Bedrohungen, Gefühlen von Verlorenheit, Öde und Ausgesetztsein in bisher unbekannter Dosis und Eindringlichkeit bemerkbar gemacht. Sein instrumentaler Gesang kann als Auflösung der klassischen Gattungsgrenzen gesehen werden. Wiederholungen, die ähnlich wie Pausen gleichermaßen Stillstand und Unendlichkeit herstellen, machen Gegenwart als Erfahrung und Vertiefung des Da-Seins möglich. Was man sich zunächst kaum vorstellen kann, entwickelt bald schon Suchtcharakter: man versteht dieses Hörbild auch ohne Gesang - ein wahres Kunstwerk. Eine Art intellektuelle Trauer durchzieht die reich variierte Bearbeitung. Attacca! Wie bei Beethovens op.131 entstehen keine Pausen zwischen den Stücken. Eigens komponierte Intermezzi schlagen Brücken zwischen den Liedern und distanzieren sich zu- gleich von ihnen. Wie im Traum überlagern sich verschiedene Zeitschichten.
Als der Trauerkondukt 1827 die sterblichen Überreste Ludwig van Beethovens zu ihrer letzten Ruhestätte geleitete, befand sich unter den Sargträgern Franz Schubert. Sein letztes Geleit sagt alles aus über seine Beziehung zu Beethoven: Zeitlebens blieb dieser ein Fixstern für Schubert.